Wenn es um Käfer geht, horcht man in Basel auf. Denn Basel ist ja heimliche Käfermetropole. An wenigen anderen Orten der Welt werden so viele wissenschaftlich bestimmte Käfer gehütet, wie am Naturhistorischen Museum Basel. Millionen in eigener Sammlung und in dr 1997 in die Basler „Archive des Lebens“ eingeflogenen Käferkollektion des bayrischen Konsuls Georg Frey. Wenn sich so ein Käfer erst noch geschickt der Chemie zu bedienen weiss, um voranzukommen, dann interessiert das am Platz Basel mit seiner glor- und zeitweise chlorreichen Chemievergangenheit erst recht.
Bekanntlich lebt und vermehrt sich besser, wer sich in der freien Natur gegen hungrige Feinde und begehrliche Schmarotzer wehren kann. Besässe der Käfer Brachinus elongatulus, der hier vorsichtig hervorgehoben werden soll, nicht im Hinterleib eine selbst befeuerte Chemiekanone, er könnte sich nie so gemütlich und unbesorgt unter Steinen versammeln, wie er und seinesgleichen es gern tun.
Nicht ohne Grund wird er Bombardierkäfer genannt.
Er gehört zu einer Unterfamilie der Laufkäfer und manche seiner Kollegen wurden mit Beiwörtern wie crepitans, clopeta oder explodens etikettiert. Sie weisen darauf hin, dass eine Begegnung mit dem Sechsbeiner mit einem Knall enden könnte. Tatsächlich stossen Bombardierkäfer mit zischenden Geräusch eine heisse stinkende Wolke aus, wenn sie sich bedroht sehen. Dabei wird ziemlich gut gezielt. Mit dem Effekt, dass die Zudringlichen, ob Ameise oder Kröte, schleunigst auf Distanz gehen.
Nun weiss man schon seit längerem, dass die blau, grün oder auch schwarzbraun gefärbten Käfer Knalllabors auf sechs Beinen sind. Über die vergangenen Jahrmillionen haben sie die Fähigkeit entwickelt, zwei Chemikalien in separaten Kammern bereit zu stellen. Bei Gefahr werden mit Muskelkraft Wasserstoffperoxid von der einen und Hydrochinone von der andern zusammengeführt und mit Hilfe eines Katalysators in einer eigenen Kammer zur explosiven Reaktion gebracht und als bis zu 100 Grad heisse und stinkende Wolke ausgestossen. Umso erstaunlicher, dass die Käfer ihre giftigen Salven immer wieder neu abfeuern können, ohne Schaden zu nehmen.
Was im Innern genau abläuft, war bisher unbekannt. Doch jetzt haben drei amerikanische Institute zusammengespannt, um das Rätsel zu klären. Die Insektenforscherin Wendy Moore von der Universität von Arizona sammelte im trockenen Bett des Madera Creek nahe Tombstone (!) in Arizona um die 500 Käfer, die sich dort wie üblich unter Steinen vergesellschaftet hatten. Die Materialforscherin Christine Ortiz und ihr Doktorand Eric Arndt vom Massachusetts Institute of Technology untersuchten an ihnen Bau und Material der Käferkammern und wollten und konnten genau beschreiben, was da unter den Flügeldecken vor sich geht. Denn mit im Bund war auch Wah-Keat Lee vom Brookhaven National Laboratory. Mit „Röntgenlicht“ aus dem Argonne-Synchrotron konnte er die Käfer durchleuchten und mit Hochgeschwindigkeitskameras filmen, wenn sie sich über ferngesteuerte Stupser ärgerten und mit gezielter Chemiewolke wehrten. Die Aufnahmen zeigten, dass der Ausstoss eigentlich aus vielen kleinen Pulsen besteht, in denen jeweils kleine Mengen Gemisch zur Explosion kommen. Mehr als 600 mal pro Sekunde schnell kann dieses Maschinengewehr feuern. Die Käferkammern sind so genial konstruiert, dass vieles von alleine läuft und keine Ventile mit Muskelkraft geschlossen werden müssen, wird in „Science“ berichtet. Daraus könne man einiges lernen, wie man mit Explosionen umgeht, sagt Christine Ortiz. Ans Lernen denkt auch die US-Army, die den grossen Teil der Forschung finanziert. Wir friedfertigen Zweibeiner wissen jetzt auch wieder, warum man uns nicht mit Wasserstoffsuperoxid, mit dem wir uns blond bleichen, und allem Flüssigen, das danach aussieht, ins Flugzeug lassen will. Damit wir – links und rechts gestupft – nicht in Versuchung kommen, zu einem Bombardiermenschen oder Homo explodens zu werden. Martin Hicklin
Erschien als Hick-up in der Basler Zeitung vom 5. Mai 2015